Musik, die warten muss
Eingehüllt oder «gesandwiched» in die Sinfonische Dichtung «Von der Wiege bis zum Grabe» von Franz Liszt (schwaches Stück, starke Streicher) und die «Abschiedssinfonie» von Joseph Haydn (streicherisch nicht mehr taufrisch, aber durch den Effekt des sich ausdünnenden Orchesters immer wieder verblüffend) spielte die Basel Sinfonietta am Samstag unter dem Dirigenten Jonathan Stockhammer drei Kompositionen von Schweizer Tonsetzern, die unterschiedlicher kaum sein könnten.
Hermann Meier (1906–2002) ist der Doyen der Schweizer Avantgardisten und ein tragischer Fall dazu. Denn es war dem Primarlehrer aus Zullwil fast nie vergönnt, eines seiner 28 Orchesterwerke zu hören. Sein «Requiem für Orchester und zwei Klaviere» entstand schon vor 45 Jahren, wurde aber bisher noch nie aufgeführt. Die Sinfonietta und die Pianisten Marino Formenti und Siegfried Mauser vollbrachten die Pioniertat und konfrontierten das Publikum mit einer schonungslos geräuschhaften Musiksprache, für welche die Handflächen der Pianisten und die schiere Ausdauer der Orchestermusiker prägender sind als eine im traditionellen Sinn musikalische Gestaltung. Ein verstörendes 19-minütiges Klangerlebnis.
Die Farben des Herbsts
Geradezu gefällig – aber das darf Neue Musik doch auch mal sein! – wirkte daneben Peter Streiffs
«Herbstzeichen» von 1977 mit seiner austarierten Pendelbewegung und dem ruhigen rhythmischen Pulsieren. Dass das Stück gegen Ende bewusste Unschärfen in der Notation aufweist, brauchte einem nicht aufzufallen, so rund und geschlossen wirkten Stück wie Wiedergabe.
Eine Uraufführung war Jürg Freys nur wenige Minuten langes Stück «In Memoriam Ludwig Hohl»,
das auch schon zwanzig Jahre alt ist. In der Einführung hatte der Komponist von einem «Kondensat von Lebensenergien eines jungen Komponisten gesprochen». Was in der Aufführung durch die in Herbstfarben gekleidete Sinfonietta herüberkam, war eine Abfolge abgerissener Orchestergesten mit Richtungstendenz nach unten – pessimistische Aphorismen ohne Rücksicht auf traditionelles Geschmacksempfinden, die einen tatsächlich an die «Notizen» des visionären Dichters Hohl erinnern konnten.
Sigfried Schibli –
Basler Zeitung, 5. Dezember 2012