Zwölf Töne für Bach

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Einzigartig radikal
Orchestermusik von Hermann Meier in Bern
Der Schweizer Komponist Hermann Meier (1906–1992) hat – unfreiwillig – im Verborgenen ein Œuvre geschaffen, das seinesgleichen sucht. Entdeckt hat ihn Ende der 1970er Jahre zunächst der Komponist Urs Peter Schneider. Davor hatte es kaum Aufführungen gegeben, zu sperrig war Meiers Schaffen in der damaligen Schweizer Musiklandschaft. Die Demütigung machte ihn wohl noch knorriger. Dank Schneiders Einsatz und dank dem unermüdlichen Wirken des Pianisten Dominik Blum, des Komponisten und Verlegers Marc Kilchenmann und neuerdings auch der Paul-Sacher-Stiftung, die den Nachlass betreut, hat Meiers Musik vermehrt Öffentlichkeit erhalten. Noch in seinen letzten Lebensjahren konnte er Aufführungen erleben. Nun hat die Basel Sinfonietta auf Initiative Kilchenmanns zwei von Meiers grossen Orchesterstücken im Stadtcasino Basel und in der Dampfzentrale Bern uraufgeführt und für diese Tat enthusiastische Reaktionen erhalten.

Unter den über hundert Werken, die Hermann Meier komponiert hat, finden sich etwa zwanzig grosse Orchesterwerke; kein einziges ist bisher im Konzert aufgeführt worden. Die Begegnung mit dem «Stück für grosses Orchester» (1960) und dem «Stück für Orchester für Werner Heisenberg» (1968) in Bern war sensationell. Die Basel Sinfonietta mobilisierte alle Energien. Als Dirigent hat Jürg Henneberger vorab die Aufgabe eines Koordinators, der dem Orchester ein pulsierendes Zeitraster zu geben hat. Tempomodifikationen finden nicht statt, es werden strenge Prozesse in Gang gesetzt. Tonhöhen im melodisch-harmonischen Sinn interessierten Meier kaum, Einzeltöne finden sich allenfalls im Orchesterstück von 1960, sind aber auch dort ganz klar nicht als restmelodisches Element eingesetzt. Meier komponierte mit Klangballungen, Tontrauben, geräuschhaften Akkorden. Und mit kräftigen Rhythmen.

Das Orchesterstück von 1960 hat eine Art grafische Form. Scharf geschnitten werden Materialien geschichtet oder nebeneinandergestellt. Sie sind einfach da, verschwinden wieder. Die Form erhält etwas Offenes, wie in einem Rohzustand. Die Konsequenz, mit der Meier das Werk baut, ist für die Zeit um 1960 einzigartig, die Radikalität beeindruckt. Doch bis zum Orchesterstück für Heisenberg, in welchem auch zwei als selbständige Orchestergruppe eingesetzte Solo-Klaviere verwendet werden (hervorragend: Tamriko Kordzaia und Dominik Blum), ist noch einmal ein enormer Schritt passiert. Komponiert wird mit grundlegenden Elementen: Punkt, Strich und Linie, je als Klangkomplex formuliert. Sie werden hingestellt und entwickeln in einer strophenartigen, komplex ausgestalteten Form immer wieder neue Kräftefelder. Eine grandiose Musik. Eingebettet in ein symmetrisch aufgebautes, schönes Programm mit Anton Weberns Sinfonie op. 21, den Orchestervariationen op. 30 und Bach-Instrumentationen von Schönberg und Webern.

Alfred Zimmerlin –

NZZ, 28.1. 2010